Nicht oft stehen in der Bergrettung jene im Fokus, die sich nach vielen Jahrzehnten des Engagements in der Bergrettung im fortgeschrittenen Alter aus dem aktiven Dienst zurückgezogen haben und als Ehrenbergretter nur mehr selten am Ortstellengeschehen teilnehmen. Vielen jungen Bergretter:innen sind diese Männer (Frauen im Bergrettungsdienst gibt es ja erst seit den 1990er-Jahren) nur mehr dem Namen nach oder aus einer flüchtigen Begegnung bei einer Veranstaltung bekannt. Und nur wenige wissen, dass einige unter ihnen die Bergrettung, oft weit über die eigene Ortsstelle hinausgehend, stark geprägt haben.

Einer von ihnen war Helmut „Düsi“ Dittler, der am Pfingstsonntag dieses Jahres verstorben ist.

Auch wenn es viele gibt, die ihn besser gekannt haben als ich, die ihm im Laufe seines langen Lebens näher waren, mehr mit ihm geteilt haben, so haben die Begegnungen mit ihm in mir doch einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen.  Sei es im Gespräch, im geschriebenen Wort, einem kleinen selbstgetexteten Liedchen oder auch in den Bildern, die er von seinen zahlreichen Reisen mitgebracht und in Vorträgen präsentiert hat.

Eigene und fremde Erinnerungen, Erzählungen und Anekdoten aus längst vergangenen Zeiten und die Eindrücke aus den Begegnungen der letzten Jahre und (wenigen) Jahrzehnten formen ein schillerndes Mosaik seiner Persönlichkeit in meinem Kopf, das aber natürlich nur eine ferne Ahnung davon vermitteln kann, wer er war. So sind diese Zeilen hier auch nur als Beschreibung dieser einzelnen Mosaiksteinchen zu verstehen, die dem Menschen, der er war, niemals gerecht werden können.

Nachruf Helmut „Düsi“ Dittler (1940-2023) 1

Auch wenn die Erinnerung an uns nach unserem Tod letztlich nur einer „Reifenspur im Sand“ (© Reinhard Fendrich) gleicht, so fallen mir gerade in Bezug auf Düsi viele Dinge ein, die der Wind nicht so rasch verweht, die von Dauer sind, die bleiben. Vor etwas mehr als 50 Jahren, im Jahr 1972 hat Düsi in der Ortsstelle Reichenau die „Raxzeitung“ ins Leben gerufen, die zu Beginn als Bindeglied zwischen den Ortsstellenmitgliedern gedacht war, mit der Zeit aber die zusätzliche Funktion erhalten hat, die Unterstützer:innen der Ortsstelle über die Aktivitäten der Bergrettung Reichenau zu informieren, und die noch immer regelmäßig erscheint. Mit viel Liebe und mangels technischer Hilfsmittel, wie wir sie heute gewohnt sind, unter großem Aufwand und unter tatkräftiger Unterstützung der ganzen Familie wurde die Zeitung damals von ihm mit Hilfe eines Matrizendruckers im Keller eines Mehrparteienhauses eigenhändig produziert.

Obgleich sich unsere „Raxzeitung“ längst schon in eine Vielzahl unterschiedlicher Kommunikationsmedien in der Bergrettung einreiht, hat sie als reine Ortstellenzeitung noch immer eine gewisse Sonderstellung inne. Das eigentlich Bemerkenswerte ist aus meiner Sicht, dass Düsi zu einer Zeit die Bedeutung von Kommunikation und Teilhabe erkannt hat, als der Begriff der Öffentlichkeitsarbeit noch nicht einmal seinen Weg in den allgemeinen Wortschatz gefunden hatte. Neben der „Raxzeitung“ betrifft dies vor allem auch die Zusammenarbeit mit der Presse und somit die Interaktion mit der Öffentlichkeit. Es mutet aus heutiger Sicht, in Zeiten von Social Media und Co., fast unwirklich an, dass er lange Zeit mit seinem Anliegen, über Einsätze oder Übungen zu berichten und insofern Außenstehende am Leben der Bergrettung indirekt teilhaben zu lassen, auf Befremden, wenn nicht auf Widerstand gestoßen ist – frei nach dem Motto: „Zawos brauch ma des?“ Dabei ist es ihm nie darum gegangen, ein glorifiziertes Heldenbild der Bergrettung etwa durch eine möglichst spektakuläre Schilderung von Einsätzen zu zeichnen, sondern sachlich zu informieren, einen realistischen Einblick in die Tätigkeit der Bergrettung zu vermitteln und dabei gleichzeitig einen präventiven Ansatz zu verfolgen. Düsi hat einen ganz wesentlichen Beitrag dazu geleistet, die Pressearbeit in der Bergrettung Wien/NÖ aufzubauen und zu etablieren. Heute stellt es eine Selbstverständlichkeit dar, auch als Bergrettung über verschiedene Kommunikationskanäle (Homepage, Newsletter, Social Media, Fördererbroschüre etc.) in stetem Kontakt zur und Austausch mit der Öffentlichkeit zu stehen. Eine Selbstverständlichkeit, die nicht vom Himmel gefallen ist, sondern zu einem großen Teil dem Engagement von Düsi zuzurechnen ist. Insbesondere in diesem Bereich hat er quasi die Aufgabe übernommen, die erste Spur im Schnee anzulegen. Gleichzeitig hat er jenen, die in seine Fußstapfen getreten sind, immer ohne Einschränkung und mit großem Vertrauen die Freiheit gelassen, dieses Erbe eigenverantwortlich und nach persönlichem Ermessen zu verwalten. 

Der Bergrettung beigetreten ist Helmut Dittler im Jahr 1967. Er war Ortstellenleiter-Stellvertreter und nach dem schweren Unfall des damaligen Ortsstellenleiters Siegfried Krätzel im Jahr 1980 auch kurzzeitig Ortsstellenleiter. In seiner langen aktiven Bergrettungskarriere war er an unzähligen Einsätzen beteiligt und hat noch viel mehr Dienste absolviert. Mit fast 80 Jahren war er nicht nur noch immer als Pressesprecher für die Ortsstelle Reichenau tätig, sondern hat auch nach wie vor pflichtbewusst seine Wochenend- und Feiertagsdienste geleistet und noch an Übungen und fallweise sogar noch an Einsätzen teilgenommen. Erst 2019 ist er schließlich – primär aus familiären Gründen – als Ehrenbergretter in „Bergrettungspension“ gegangen. Das ist ihm, für den die Kameradschaft und die Gemeinschaft in der Bergrettung immer einen ganz zentralen Stellenwert gehabt haben, sicherlich nicht leichtgefallen.

Wer sich an Düsi erinnert, erinnert sich mit Sicherheit auch an seine legendären Kochkünste. Als gelernter Zuckerbäcker, der es in der Werksküche der „Semperit“ in Wimpassing gewohnt war, täglich viele Hunderte Menschen zu verköstigen, ist es ihm nicht schwergefallen – und hat es ihm wohl auch Freude bereitet – auch abseits seiner beruflichen Tätigkeit die Menschen in seiner Umgebung kulinarisch zu verwöhnen. Nicht nur die Ortsstelle Reichenau ist regelmäßig in diesen Genuss gekommen, ebenso auf der Kienthalerhütte am südlichen Schneeberg, der er als Vereinsmitglied der Alpinen Gesellschaft  Kienthaler ebenfalls sehr verbunden war, hat man seine Kochkünste zu schätzen gewusst. Ein Zufall und nicht zuletzt seine Hilfsbereitschaft – er sprang für eine erkrankte Köchin ein – bescherten ihm einen längerfristigen „Nebenjob“ als Koch für ein Reiseunternehmen, der ihn unter anderem 19mal nach Island, aber etwa auch nach Australien und Neuseeland geführt hat. Die vielfältigen Eindrücke, die er in kunstvollen Aufnahmen – das Fotografieren war eine weitere seiner Leidenschaften – festgehalten hat, hat er immer wieder in Vorträgen oder auch in der „Raxzeitung“ mit uns allen geteilt.

Zu den Dingen, die am dauerhaftesten Spuren hinterlassen, wenn wir einmal nicht mehr sind, zählt das, was wir an unsere Kinder weitergeben. Und da gibt es vieles, was von ihm in seinem Sohn, unserem Ortstellenleiter Christian Dittler, weiterlebt: die Liebe zu den Bergen und sein bedingungsloses Engagement für andere Menschen und im Speziellen für die Bergrettung, seine Beharrlichkeit und Konsequenz, seine kommunikative, humorvolle und gesellige Art, seine Freude am gemeinsamen Muszieren, seine Kochkünste, sogar sein Spitzname „Düsi“ (dessen Ursprung nicht mehr zu eruieren ist) und nicht zuletzt auch sein Familiensinn.

Dass neben der Bergrettung vor allem seine Familie für Düsi das Wichtigste war, hat sich etwa darin gezeigt, dass er sich in seinen letzten Lebensjahren in liebevoller und aufopfernder Weise um seine kranke Frau gekümmert hat. Oder darin, dass er, wie ich aus Erzählungen von Düsi Junior weiß, immer erst schlafen konnte, wenn dieser im jugendlichen Alter des Nachts von einer Bergtour und/oder geselligen Aktivität sicher nach Hause zurückgekehrt war.

So mag es Zufall sein oder nicht, dass sein Herz just wenige Stunden nach der Rückkehr von Sohn und Schwiegertochter von einer fünfwöchigen Reise für immer zu schlagen aufgehört hat.

Sabine Buchebner-Ferstl

Titelbild: von xaam-fotografiert über Pixabay

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